Am Vieh Theater Beulbar

Über uns

Orge Zurawski

Der Begründer des Am-Vieh-Theaters Georg „Orge“ Zurawski (13.03.1938 – 28.05.2020)

Von der Töpferstadt Bürgel schlängelt sich die schmale Straße durch den Gleisegrund, vorbei an Thalbürgel mit der Klosterbasilika, bis zur Langentalsmühle, dann rechts hinauf nach Ilmsdorf und Beulbar. Am unteren Dorfrand, oben am Wiesenhang zur Gleise hinab, lebte Georg Zurawski alias „Orge“, unbändiger Komödiant, Musikant, Sänger nachdenklicher bis derber Lieder und Geschichtenerzähler. Ein Original im besten Sinne des Wortes.

Hier baute er sich sein „Am-Vieh-Theater“, nahe „am Vieh“ auf der anliegenden Weide. Eine Freilichtarena im Stile eines Amphitheaters. Aus heimischen Sandsteinen und fossilen Eisenbahnschwellen. Mit festem Podium und mobilen Kulissen unter einem mit Muskelkraft per Hebelsystem aufspannbaren Zeltdach. Ein „Faradaysches Pferd“ am Rande, wo einst der Blitz Vater und Kind erschlug, wendet derlei Ungemach vom aktuellen Geschehen ab. Das Publikum sitzt an warmen Sommerabenden auf mitgebrachten Kissen im Kreis um das lodernde Feuer in einer XXL-Feuerschale aus dem Vorderteil einer ausrangierten Dampflok.

An trüben Tagen unter Pelerine oder Regenschirm, doch nie in trüber Stimmung. Dafür sorgte das jeweilige Feuerwerk auf der Bühne. Ob beim Spektakel des „Dampf- und Dorftheaters“ oder der Berliner Shakespeare Company. Viele Freunde aus der Sturm- und Drangzeit beim Theater oder Musical traten hier auf. Sein Freund Gunther Emmerlich, der Pantomime Harald Seime, Barbara Thalheim, Annekatrin Bürger, Liedermacher Wilfried Mengs und Eckhardt Wenzel, US-Folksinger Rik Palerie, wie auch Jazz- und Folkgruppen. Vor oft mehr als 300 hellhörigen, nachdenklichen, angerührten, stets aber begeisterten Zuschauer* – und Zuhörer*innen.

An Winterabenden rottete sich der engere Kreis am holzbefeuerten Kachelofen zusammen. Dann lasen Landolf Scherzer oder Ulf Annel aus ihren Werken, oder Ettore Ghibellino orakelt über Amouren Goethes mit Anna Amalia. Jedenfalls ein Bilderbuchbeispiel, wie sich Kultur auf dem Dorfe entwickeln kann, mit eigenem Zutun von Enthusiasten. Als Wallfahrtsort für Extra-Vaganten.

Orge und Nico 2015

Voller Hoffnung auf dessen Weiterbelebung legte Orge bereits vor seinem Tode den architektonischen Teil und die Idee seines Lebenswerkes in die Hände von Nico Schneider, Multiinstrumentalist auf alten und neueren Saiteninstrumenten, Akkordeon und Dudelsack. Dazu Instrumentenbauer, vorzugsweise von Banjos für „Art-Genossen“ hierzulande, in Irland und weltweit. Bereits seit 2010 durch Auftritte seiner Folkband „HüSCH!“ und in anderen Formationen mit dem „Am-Vieh-Theater“ verbandelt, gestaltete er bereits ab 2015 das Programm mit und übernahm 2018 dann Haus und Hoftheater. Ein Glücksfall, was die Weiterführung des Am-Vieh-Theaters“ in Orges Sinne betrifft. Und Orge sitzt dann unterm Publikum – aus dem „richtigen Holz geschnitzt“ vom Rauschwitzer Kunstsäger Christian Schmidt und seinem ukrainischen Freund Sergey Dyschlevyy.

Wilhelm Schaffer (2020)

Christian Schmidt (Holzbildhauer), Orge (in Holz) Marie-Christin John und Nico Schneider
Christian Schmidt (Holzbildhauer), Orge (in Holz), Marie Christin John und Nico Schneider

Frank Quilitzsch über die Lebenslust des Georg (Orge) Zurawski:

Liebe ist ein Gefühl, das martert jeden …“, singt er zur Gitarre. Er interpretiert das Lied auf Jiddisch, und die Kamera fängt groß sein Gesicht ein: ein Altersgesicht mit weißem Stoppelbart, weißen Augenbrauen und Nickelbrille, in dem junge, sehr lebhafte Augen leuchten. Ich habe noch einmal die DVD eingelegt. Vor mir liegt aufgeschlagen der Bildband über sein kleines, eigenhändig erschaffenes Welttheater. Doch eigentlich brauche ich beides nicht. Als mich die Nachricht von Georg Zurawskis Ableben erreichte, lief ich durch den Thüringer Wald. Für einen Moment hielt ich den Atem an. Der Wind rauschte, Vögel zwitscherten, und ich konnte ihn singen hören. Und lachen.

Orge, wie wir ihn nannten, liebte das Leben. Das ihm zuweilen übel mitspielte. Doch er ließ sich nicht unterkriegen, er hat mit seinem Am-Vieh-Theater das kleine Dorf Beulbar bei Thalbürgel berühmt gemacht. Jahrelang lud er Künstler aus Deutschland und Übersee, aber auch die Einheimischen in sein Refugium ein. Bis der in die Jahre gekommene Sänger und Musicaldarsteller sein Lebenswerk in die Hände Jüngerer geben musste.
„Ich habe losgelassen, denn ich weiß, dass es so weitergeführt wird, wie ich es mir wünsche“, sagte der 80-Jährige, als ihm im Erfurter Angermuseum die Kulturnadel des Freistaats verliehen wurde. Ich blättere in der Chronik und treffe prominente Weggefährten, darunter seinen Freund, den Dresdner Opernsänger und Entertainer Gunther Emmerlich, die Liedermacherin Barbara Thalheim und den Songpoeten Hans-Eckardt Wenzel. Wenn Emmerlich einmal pro Jahr nach Beulbar kam, lauschten ihm 500 Leute. Das Filmporträt von Torsten Eckold zeigt Orge auch bei einem Auftritt im Alten Dorfsaal von Ulla.

„Wenn ich lache, dann habe ich geweint / und wenn ich weine, bin ich froh / dass mir zuweilen auch die Sonne scheint“, heißt es bei Villon. Orges fröhlicher Bass vertreibt die Traurigkeit. Zurawski, verriet er einmal, sei polnisch und bedeute Kranich. Auch wenn er neben seinem Sohn in der Erde ruht, wird Orge sich in mancher Nacht erheben, mit uns um die Feuerschale sitzen und singen: „Der Mond ist aufgegangen …“